Hallo zusammen,
ich oute mich an dieser Stelle ebenfalls als Fan des M117 im W108/109. Ich fahre ein so ausgestattetes Auto seit mittlerweile über 10 Jahren und denke deshalb, dass ich mir ein vorsichtiges Urteil über diese Fahrzeuge erlauben kann.
Ich habe mich damals bewusst für ein US-Modell von der Westküste entschieden, da ich trotz meiner fundierten Berufsausbildung (ich bin gelernter Karosserie- u. Fahrzeugbauer) einfach keine Lust hatte, eine solche Karosserie aufwendig komplett zu sanieren, ich wollte einfach fahren mit dem Auto.
In Sachen Karosserie hatte ich großes Glück, mein Auto ist definitiv rostfrei und ungeschweisst, auch alle Anbauteile wie Türen, Klappen etc. sind noch Original und im sehr guten Zustand. Ich rate Dir dringend, den Zustand der Karosserie mit einem Fachmann zu beurteilen, die Komplettsanierung einer Solchen (wenn der Zustand schlecht ist), bedeutet de facto das Todesurteil für den Wagen, wobei mittlerweile auch W108 aufwendig saniert werden. Aber wenn Du in absehbarer Zeit mit dem Auto fahren willst, ist das sicherlich keine Option.
Die Maschine ist niederverdichtet, das ist aber grundsätzlich kein Nachteil, ganz im Gegenteil. Mit diesem Motor wollte man der US-Kundschaft die Fahrleistungen der 3.5er Modell bieten und trotzdem auf der damaligen Einführung des niederoktanigen Kraftstoffes in den USA Rechnung tragen. Die M117 im W108/109 haben nach Werksangabe 5PS weniger als die europäischen 3.5er (195PS an statt 200PS), das ist also zu vernachlässigen. Der Motor ist aber deutlich langhubiger ausgelegt und deswegen und wegen des größeren Hubraums an sich hat der M117 knapp 90Nm (!!!) mehr Drehmoment als die M116 in Europa.
Zudem wurden die 4,5er ausschließlich mit der 3-Gang Wandlerautomatik ausgeliefert, wie sie später in den Typen 107 und 116 eingebaut wurde. Der Schaltkomfort ist um Welten besser, als bei der europäischen K4 Automatik mit Föttinger Kupplung und durch die außerdem verbauten, relativ langen Endübersetzungen (3,27 und 3,23) ist die Kombination W108/109 mit M117 ein richtig schönes Langstreckenfahrzeug mit ordentlich Dampf. Die Elastizität ist für ein so altes Auto geradezu phänomenal. Mein Wagen schaltet bei normaler Fahrt bei ca. 50 - 60 km/h in den letzten Gang. Wenn ich aber beispielsweise mit 80 - 100 km/h mit Kickdown (sorry: Übergas) zum überholen ansetze, schaltet das Getriebe zurück in den 2. und die Fuhre geht los, wie von der Tarantel gestochen, einfach nur geil!
Was den Verbrauch anbelangt weiß ich nicht, was so ein 3,5er tatsächlich inhaliert. Mein 4,5er hat sich auf 20Tkm im Durchschnitt 16,5 Liter Super genehmigt, wobei ich wirklich kein zahmer Fahrer bin und das Auto auch gerne mal mit 160 - 180 Knoten auf der BAB unterwegs ist.
In Sachen Ausstattung sind die US-Modelle den Europäern fast immer überlegen, da die Fahrzeuge ab Werk üppig konfiguriert wurden, um die Autos für den US-Kunden attraktiv zu machen (in Amerika wurden schon damals die Autos meistens direkt vom Händler gekauft, ewige Vorbestellungen waren schon früher nicht deren Ding).
Die meisten US 4,5er haben 4 Fensterheber, ZV, Colorglas, getönte Scheiben, Radio etc., auch Klimaanlage wurde meistens vom Importeur vor Ort nachgerüstet. Bei letzterer handelt es sich deshalb meistens um eine Anlage von Thermoking, bei den europäischen Modellen wurde meistens Behr verbaut.
Bezüglich der Verfügbarkeit von Ersatzteilen wird es zunehmend kritischer, dabei ist es aber eigentlich egal, ob es ein US-Modell ist oder nicht. Die D-Jetronik ist (wenn einmal grundlegend geprüft und ggf. überarbeitet) eine zuverlässige und absolut alltagstaugliche Einspritzanlage. Das gilt auch für die mechanischen Einspritzpumpen der Sechszylinder und letztlich auch für die Vergaser. Entscheidend ist der Zustand der Bauteile und was in den vergangenen Jahren/Jahrzehnten gemacht oder eben nicht gemacht worden ist. Wenn Du erst die gesamte Technik samt Gemischaufbereitung auf Vordermann bringen musst spielt es nach meiner Auffassung keine Rolle, mit welchem System das Auto bestückt ist.
Ach und noch was zur Innenausstattung: Die meisten US-Modell wurden mit MB-Tex ausgeliefert, ein Kunstleder mit geradezu legendärer Haltbarkeit. Sehr viele Innenausstattungen aus diesem Material sehen auch nach über 40 Jahren noch aus wie neu (meine eingeschlossen). Echtleder ist nach dieser Zeit meistens komplett im Eimer, erst Recht wenn man die klimatischen Verhältnisse an der Westküste der USA berücksichtigt. Velour ist mittlerweile ziemlich gesucht und im guten Zustand sehr selten zu finden, die Haltbarkeit liegt irgendwo zwischen Leder und MB-Tex.
Mit freundlichen Grüßen,
Maik.